Vitruv V 5,1-7 (Über die Schallgefäße)
Vitruv V 5
1. So sollen auf Grund dieser Forschungsergebnisse nach mathemathischen Berechnungen, entsprechend der Größe des Theaters, bronzene Schallgefäße hergestellt werden, und diese sollen so hergestellt werden, daß sie, wenn sie berührt werden, von einem zum anderen den Klang der Quarte, Quinte und der Reihe nach bis zur Doppeloktave hervorbringen können. Dann soll man sie in Hohlräumen, die zwischen die Sitze verteilt angelegt sind, nach der musikalischen Ordnung dort so anbringen, daß sie kein Wandstück berühren, ringsum leeren Raum und auch an ihrer Oberseite einen Zwischenraum haben, und sie sollen umgekehrt aufgestellt sein und auf der Seite, die gegen das Bühnenhaus gerichtet ist, Keile untergelegt haben, die nicht weniger als einen halben Fuß hoch sind. Gegenüber diesen Hohlräumen sollen in den Lagern der unteren Teile der Sitzstufen Schlitze gelassen werden, 2 Fuß lang und einen halben Fuß hoch.
2. Die Bezeichnungen der Stellen aber, an denen sie aufgestellt werden, sollen so ermittelt werden: Wenn der Sitzraum nicht beträchtlich groß ist, ziehe man in der Mitte der Höhe (des zukünftigen Sitzraums) eine horizontale Linie, und auf dieser wölbe man 13 Hohlräume ein, die in 12 gleichen Abständen von einander entfernt sind, so daß von den oben beschriebenen Schallgefäßen zuerst die, die entsprechend der Nete hyperbolaion tönen, in den beiden Hohlräumen aufgestellt werden, die an den äußersten Enden der Flügel sind, als zweite von den Flügeln ausgerechnet die, die um eine Quart tiefer nach der Nete diezeugmenon tönen, als dritte von den Flügeln aus die, die um eine Quart tiefer der Paramese entsprechend tönen, als vierte die, die der Nete synemmenon entsprechen, als fünfte die, die um eine Quart tiefer der Mese entsprechend tönen, als sechste die, die um eine Quart tiefer der Hypate meson entsprechend tönen, in der Mitte eines, das um eine Quart tiefer der Hypate hypaton entsprechend tönt.
3. So dürfte bei dieser Berechnung die Stimme, die sich von der Bühne wie von einem Mittelpunkt ausgehend kreisförmig ausbreitet, dadurch daß sie auf die Höhlungen der einzelnen Schallgefäße trifft, eine erhöhte Klarheit und durch den Gleichklang eine sich selbst entsprechende Konsonanz hervorrufen. Wenn aber das Theater größer ist, dann teile man seine Höhe in vier Teile, so daß drei horizontal bezeichnete Linien für die Hohlräume entstehen, von denen eine der Harmonia, die zweite dem Chroma, die dritte dem Diatonon gehört. Auf der ersten Linie von unten aus gesehen sollen die Schallgefäße nach der Harmonia angelegt werden, wie das oben bei einem kleinen Theater beschrieben ist.
4. Auf der mittleren Linie aber sollen zuerst an den äußersten Enden die Schallgefäße angebracht werden, die den Klang entsprechend der Chromatice hyperbolaeon haben, in den zweiten Hohlräumen danach die, die eine Quarte tiefer wie die Chromatice diezeugmenon tönen, in den dritten die der Chromatice synemmenon entsprechenden, in den vierten die, die eine Quarte tiefer wie die Chromatice meson tönen, in den fünften die, die eine Quarte tiefer wie die Chromatice hypaton tönen, in den sechsten die, die entsprechend der Paramese klingen, weil sowohl zur Chromatice hyperbolaeon die Quinte, als auch zur Chromatice synemmenon die Quarte in gleicher Klangverbindung steht.
5. In der Mitte ist nichts anzubringen, weil keine Art von Klängen in dem Chroma einen Zusammenklang haben kann. Auf der obersten Abteilung und Linie der Hohlräume aber sollen an den äußersten Flügeln Gefäße angebracht werden, die nach dem Klang von Diatonos hyperbolaeon entsprechend hergestellt sind, in den zweiten Hohlräumen die, die eine Quarte tiefer nach dem Klang des Diatonos diezeugmenon hergestellt sind, in den dritten die, die nach dem Klang des Diatonos synemmenon hergestellt sind, in den vierten die, die um eine Quarte tiefer nach dem Klang des Diatonos meson hergestellt sind, in den fünften die, die um eine Quarte tiefer nach dem Diatonos hypaton hergestellt sind, in den sechsten die, die um eine Quarte tiefer nach dem Proslambanomenos hergestellt sind, in der Mitte ein Schallgefäß entsprechend der Mese, weil diese sowohl als Oktave zum Proslambanomenos wie als Quinte zum Diatonos hypaton in gleicher Klangverbindung steht.
6. Wenn aber jemand dies leicht zur Ausführung bringen will, mag er sein Augenmerk auf das nach der Musiktheorie am Ende des Buches verzeichnete Diagramm richten, das Aristoxenos mit großer Geistesschärfe und regem Fleiß geformt nach der Einteilung der Tonsysteme in ihren einzelnen Arten uns hinterlassen hat, nach dem man, wenn man diese Berechnungen beachtet, leichter die vollendete Formgebung von Theatern entsprechend der natürlichen Beschaffenheit der Stimme und zum Genuß der Zuhörer wird durchführen können.
7. Mancher wird nun vielleicht sagen, daß jährlich in Rom viele Theater gebaut sind und man bei ihnen auf diese Dinge keine Rücksicht nimmt. Aber hierin wird er irren, weil alle aus Holz gebauten öffentlichen Theater mehrere Flächen aus Brettern haben, die natürlicherweise eine Resonanz geben müssen. Wir können das auch an den Sängern zur Kithara beobachten, die sich, wenn sie fortissimo singen wollen, zu den Türen des Bühnenhauses hin abwenden und so mit deren Hilfe eine Resonanz für ihre Stimme erlangen. Wenn aber Theater aus festem Baumaterial z. B. Mörtelmauerwerk, Stein oder Marmor, die keine Resonanz geben können, gebaut werden, müssen diese Verhältnisse durch Schallgefäße reguliert werden.
8. Wenn man aber fragt, in welchem Theater man das getan hat, so können wir in Rom keins aufzeigen, wohl aber in den Landschaften Italiens und mehreren Städten der Griechen, und wir haben auch als Gewährsmann Lucius Mummius, der nach Zerstörung des Theaters in Korinth diese bronzenen (Schallgefäße) nach Rom gebracht und als Weihgeschenke "aus der Waffenbeute" im Tempel der Luna niedergelegt hat. Auch haben viele geschickte Baumeister, die in kleinen Städten Theater gebaut haben, dadurch daß sie aus Geldmangel so tönende irdene Gefäße ausgewählt und nach dieser Berechnung aufgestellt haben, sehr gute Wirkungen erzielt.