Im griechischen Mythos waren Thyest und Atreus Söhne des Pelops und standen unter dem Bann einer Blutschuld ihres Vaters. So geschah es, dass Thyest sowohl die Frau seines Bruders verführte als auch ihm den goldenen Widder stahl, der das göttliche Unterpfand seiner königlichen Herrschaft über Mykene war. Atreus verbannte daraufhin seinen Bruder, rief ihn später aber samt seiner Familie scheinheilig zurück: Atreus ließ die Kinder des Thyest schlachten und setzte diese ihrem Vater zum Mahl vor, was letzterer aber dann doch noch bemerkte. Die Verfluchung des Atreus durch seinen Bruder Thyest konnte nicht ausbleiben. Ein Orakel offenbarte ihm, dass er einen Rächer für den Tod seiner Kinder werde zeugen können, wenn er sich mit seiner eigenen noch lebenden Tochter Pelopia vereinige: Aus dieser Verbindung ging Aigisthos hervor.
Aus Scham über den Inzest setzte Pelopia ihren Sohn aus, ein Hirte fand ihn aber und übergab ihm ausgerechnet König Atreus zur Erziehung. Als Aigisthos erwachsen geworden war, offenbarte ihm Thyest, dass er sowohl sein Vater als auch sein Großvater sei. Aigisthos brachte brachte daraufhin seinen Erzieher Atreus um. Ganz in der Tradition seines Vaters verführte dieser dann auch noch die Frau seines Kousins Agamemnon, des Sohnes des Atreus, nämlich Klytemnästra. Aigisthos und Klytemnästra töteten schließlich gemeinsam Agamemnon, die dann aber selbst der Rache des Sohnes des Agamemnon, Orestes, anheimfielen.
Tragödien namens Thyestes oder welche seinen Stoff behandeln, wurden von verschiedenen griechischen und lateinischen Dichtern verfaßt: Von Euripides sind Fragmente eines 'Thyest' erhalten, Aristophanes parodierte dieses Stück und Sophokles verarbeitete den Mythos im 'Atreus' und zwei nicht erhaltenen Tragödien namens 'Thyest'. Eine andere Bearbeitung solle von Diogenes aus Sinope stammen, die allerdings auch seinem Schüler Philiskos aus Ägina zugeschrieben wurde, oder sogar dem Pasiphon. Auch von Diokles, einem attischen Dichter der Alten Komödie, ist ein gleichnamiger Titel bekannt. Die lateinische Bearbeitung des Lucius Varius Rufus wurde zuerst bei den Aktischen Spielen im Jahre 29 v.Chr. aufgeführt und galt als ausgesprochen gelungenes Werk. Das gleichnamige Stück des Ennius wurde an den ludi Apollinares aufgeführt. Weitere sind von L. Annaeus Seneca und Curiatius Maternus verfaßt worden, Accius verarbeitete den Stoff im 'Atreus'. Die Auftritte von Kaiser Nero als Thyestes waren berühmt.
Quellen
Cicero, Brutus 79.
Cicero, de natura deorum III 68-69.
Cicero, Tusculanae IV 77.
Quintilian, Inst. Orat. X 1,98:
Iam Vari Thyestes cuilibet Graecarum comparari potest.
„Doch schon der Thyestes des Varius hält den Vergleich mit der griechischen Tragödie aus."
Ennius, fr. 152 p. 134 Jocelyn (= Cicero, Brutus XX 78)
Cassius Dio, Epitome Buch LXIII (9,4).; vgl. Neronia.
Darstellungen
Öllampe; AO: Rom, Museo Nazionale Romano:
Dargestellt sind Atreus mit dem Diadem um den Onkos und eine als Königin Aerope oder Laodameia gedeutete Frau, die beide je ein strampelndes Kind des Thyestes festhalten.
Lit.: F. de Ficoroni, De Larvis Scenicis (Rom 1754) 102 Taf. 79,3; F. Wieseler, Theatergebäude und Denkmäler des Bühnenwesens 110 Nr. 24 Ergänzungstafel A 24; M. Bieber, History of the Greek and Roman Theater (Princeton 1962) 393 Abb. 514; dies., Wurden Tragödien des Seneca in Rom ausgeführt?, Mitt DAI Rom 60/61, 1953/54, 103 Taf. 36,2.
Literatur
M. Bieber, Wurden Tragödien des Seneca in Rom aufgeführt?, Mitt DAI Rom 60/61, 1953/54, 103-104.
A. Dihle, Die griechische und lateinische Literatur der Kaiserzeit (München 1989) 50. 117.