Der Dichter Lucius Livius Andronicus starb zwischen 207 und 200 v. Chr. und galt im Altertum als Begründer der lateinischsprachigen römischen Literatur. Er stammte aus der grossgriechischen Stadt Tarent, einem der, wenn nicht d e m Zentrum griechischen Theaters in Unteritalien. Er war somit kein lateinischer Muttersprachler, sondern stärker mit griechischer Kultur vertraut. Anläßlich der ludi Romani brachte er in Rom im Jahre 240 v.Chr. als erster Tragödien und Komödien auf die Bühne, wir wissen allerdings nicht, welche Stücke dies waren. Sein bedeutendstes Werk ist die «Odusia», eine Übersetzung der griechischen «Odyssee».
Seine Werke wurden wegen ihrer altertümlichen und ungelenken Sprache bald als altmodisch betrachtet. Die Komödien wurden bald von den Werken des Naevius, Plautus und schließlich des Terenz verdrängt, die Tragödien von denen des Ennius, Accius und Pacuvius.
Quellen
Cassiodor, chron. p. 128 (Mommsen).
Cicero, Brutus 71-73 (18):
(71) ... nec dubitari debet quin fuerint ante Homerum poetae, quod ex eis carminibus intellegi potest, ... quid, nostri veteres versus ubi sunt?
quos olim Fauni vatesque canebant,
cum neque Musarum scopulos
nec dicti studiosus quisquam erat ante hunc
ait ipse de se nec mentitur in gloriando: sic enim sese res habet. nam et Odyssia Latina est sic [in] tamquam opus aliquod Daedali et Livianae fabulae non satis dignae quae iterum legantur.
(72) Atqui hic Livius, qui primus fabulam C. Claudio Caeci filio et M. Tuditano consulibus docuit anno ipso ante quam natus est Ennius, post Romam conditam autem quarto decumo et quingentesimo, ut hic ait, quem nos sequimur. est enim inter scriptores de numero annorum controversia. Accius autem a Q. Maxumo quintum consule captum Tarento scripsit Livium annis xxx post quam eum fabulam docuisse et Atticus scribit et nos in antiquis commentariis invenimus;
(73) Docuisse autem fabulam annis post xi, C. Cornelio Q. Minucio consulibus ludis Iuventatis, quos Salinator Senensi proelio voverat. in quo tantus error Acci fuit, ut his consulibus xl annos natus Ennius fuerit: quoi aequalis fuerit Livius, minor fuit aliquanto is, qui primus fabulam dedit, quam ii, qui multas docuerant ante hos consules, et Plautus et Naevius.
„ (71) ... Auch läßt sich nicht daran zweifeln, dass es bereits vor Homer Dichter gegeben hat. ... Und bei uns? Wo sind die alten Lieder
'Die einst die Faune sangen und die Barden
Als niemand noch der Musen Höh'n erklommen
Und keiner noch vor diesem hier sich um das Wort bemüht,'
wie unser Dichter selbst es sagt und mit solchem Lob nicht lügt: es war wirklich so. Erscheint doch die lateinische Fassung der «Odyssee» so, als ob sie ein Produkt des Daidalos wäre, und die Stücke des Livius verdienen es nicht, dass man sie ein zweites Mal liest.
(72) Und doch war es im Konsulatsjahr von Gaius Claudius, dem Sohn des Caecus, und Marcus Tuditanus, dass dieser Livius zuerst ein Stück herausbrachte, gerade im Jahr bevor Ennius geboren wurde, 514 Jahre nach der Gründung unserer Stadt. So sagt es jedenfalls mein Gewährsmann. Es herrscht nämlich hinsichtlich der Chronologie unter den Schriftstellern Meinungsverschiedenheit. Accius berichtet, Livius sei in Tarent von Quintus Maximus gefangen genommen worden, als dieser zum 5. Male Konsul war, d.h. 30 Jahre später, als er sein Stück aufführte, wie Atticus schreibt und wie wir es in alten Berichten bestätigt finden.
(73) Diese Aufführung setzt Accius 11 Jahre später an, unter den Konsuln von Gaius Cornelius und Quintus Minucius, während die Festspiele zu Ehren der Iuventas, die Salinator in der Schlacht bei Sena gelobt hatte. Hier ist der Irrtum des Accius beträchtlich: Ennius war in diesem Konsulatsjahr schon 40 Jahre alt. Wäre Livius sein Altergenosse gewesen, so wäre dieser, der als Erster eine Aufführung veranstaltet hat, viel jünger gewesen als die, die schon vor diesem Datum viele Stücke aufgeführt hatten, nämlich Plautus und Naevius."
Cicero, Cato 50.
Cicero, Tusc. I 3:
Doctrina Graecia nos et omni litterarum genere superabat; in quo erat facile vincere non repugnantes. nam cum apud Graecos antiquissimum e doctis genus sit poetarum, siquidem Homerus fuit et Hesiodus ante Romam conditam, Archilochus regnante Romulo, serius poeticam nos accepimus. annis fere cccccx post Romam conditam Livius fabulam dedit, C.Claudio,Caeci filio, M.Tuditano consulibus, anno ante natum Ennium. qui fuit maior natu quam Plautus et Naevius. II. sero igitur a nostris poetae vel cogniti vel recepti. quamquam est in Originibus solitos esse in epulis canere convivas ad tibicinem de clarorum hominum virtutibus; honorem tamen huic generi non fuisse declarat oratio Catonis, in qua obiecit ut probrum M.Nobiliori, quod is in provinciam poetas duxisset; duxerat autem consul ille in Aetoliam, ut scimus, Ennium. quo minus igitur honoris erat poetis, eo minora studia fuerunt, nec tamen, si qui magnis ingeniis in eo genere extiterunt, non satis Graecorum gloriae responderunt.
„In der Bildung freilich und in der Art von Literatur hat uns Griechenland übertroffen - was nicht schwer war, da wir ihnen den Vorrang gar nicht streitig machten. Während nämlich bei den Griechen die Bildung mit den Dichtern beginnt und Homer und Hesiod, wie es heißt, vor der Gründung Roms gelebt haben, Archilochos in der Regierungszeit des Romulus, haben wir die Dichtkunst erst viel später übernommen. Denn ungefähr 510 Jahre nach der Gründung der Stadt Rom unter dem Konsulat des C. Claudius, des Sohnes des Claudius Caecus, und des M. Tuditanus hat Livius ein Theaterstück aufführen lassen (240 v.Chr.), ein Jahr vor der Geburt des Ennius. Er war auch älter als Plautus und Naevius. Spät also haben die unsrigen die Dichtkunst kennengelernt und übernommen. Allerdings steht in den 'Origines' es habe bei den Mahlzeiten die Sitte bestanden, dass die Teilnehmer zum Flötenspiel die Taten berühmter Männer besangen; aber Ansehen fand diese Kunst nicht, wie die Rede Catos beweist, in welcher er dem M. Nobilior als Schande vorwarf, er habe in seine Provinz Dichter mitgenommen. Als er nämlich Konsul war, begleitete ihn, wie bekannt, Ennius nach Ätolien. Je weniger man nun die Dichter ehrte, desto weniger bemühte man sich auch um die Dichtkunst; soweit indessen trotzdem große Begabungen auf diesem Feld tätig waren, ließen sie sich neben dem Ruhm der Griechen sehr wohl sehen.” (Übers. nach O. Gigon)
Kommentar: Homer, Hesiod und Archilochos werden gerne in einem Atemzug genannt: Sie standen bereits im Zentrum der Komödie 'Die Archilochoi' von Kratinos d.Ä., Hesiod steht auf dem Trierer Monnus-Mosaik in einer Reihe mit weiteren antiken Geistesgrößen.
Cicero, de senectute XIV 50:
... Quam gaudebat bello suo Punico Naevius! quam Truculento Plautus, quam Pseudolo! Vidi etiam senem Livium; qui, cum sex aniis ante quam ego natus sum fabulam docuisset Centone Tuditanoque consulibus, usque ad adulescentiam meam processit aetate.
„ ... Welche Freude hatte Naevius an seinem 'Punischen Krieg' und Plautus an seinem 'Grobian' und an seinem 'Lügenmaul'! Ich kannte auch noch den alten Livius; er hatte schon 6 Jahre vor meiner Geburt unter den Konsuln Cento und Tuditanus ein Drama aufgeführt und lebte dann noch bis in mein Jugendalter hinein.” (Übers. nach M. Faltner)
Diomedes, ars 3 (p. 489,7-8):
Ab his Romani fabulas transtulerunt, et constat apud illos primum Latino sermone comoediam Livium Andronicum scripsisse. | Von diesen (d.h. den Griechen) übernahmen die Römer die Dramen, und es steht fest, dass dass bei ihnen Livius Andronicus als Erster eine Komödie in lateinischer Sprache verfasst hat. |
Lit. und Ausgaben:
Weblinks: Corpus Grammaticorum Latinorum.
Gellius XVII 21,42-43:
Annis deinde postea paulo pluribus quam viginti, pace cum Poenis facta, consulibus C. Claudio Centhone, Appii Caeci filio, et M. Sempronio Tuditano, primus omnium L. Livius poeta tabulas docere Romae coepit post Sophoclis et Euripidis mortem annis plus fere centum et sexaginta, post Menandri annis circiter quinquaginta duobus. (43) Claudium et Tuditanum consules secuntur Q. Valerius et C. Mamilius, quibus natum esse Q. Ennium poetam M. Varro in primo 'De Poetis' libro scripsit eumque, cum septimum et sexagesimum annum haberet, duodecimum Annalem scripsisse, idque ipsum Ennium in eodem libro dicere.
„Nicht mehr als 20 Jahre später, als unter den Konsuln Claudius Cento, dem Sohn von Appius dem Blinden, und unter M. Sempronius Tuditanus der (1.) Friede mit den Puniern geschlossen wurde, begann der Dichter L. Livius (d.i. 240 v.Chr.) von allen zuerst in Rom Stücke aufzuführen, fast mehr als 160 Jahre nach dem Tod des Sophokles und Euripides und ungefähr 52 Jahre nach dem Ableben des Menander. (43) Auf die beiden Konsuln Claudius und Tuditanus folgten Quintus Valerius und Gaius Manilius unter deren Konsulat, wie Marcus Varro im 1. Buch 'Über die Dichter' schreibt, der Dichter Quintus Ennius geboren wurde; wo auch noch steht, dass Ennius in seinem 67. Jahre das 12. Buch seiner Annalen geschrieben habe und dass Ennius selbst dies in seinem Buch vermelde.”
Livius VII 2,8.
Valerius Maximus II 4,4.
Literatur und Ausgaben
C. Cichorius, Römische Studien. Historisches, Epigraphisches, Literaturgeschichtliches aus vier Jahrhunderten Roms (Leipzig – Berlin 1922).
J.-P. Morel, Fragmenta poetarum latinorum epicorum et lyricorum praeter Ennium et Lucilium (Leipzig 1927).
K. Barwick, Das Kultlied des Livius Andronicus, Philologus 88, 1933, 203-221.
S. Mariotti, Livio Andronìco e la traduzione artistica, Pubblicazioni dell'Università di Urbino. Serie di lettere e filosofia (Urbino 1950).
H.B. Mattingly, The date of Livius Andronicus, Classical Quarterly 7, 1957, 161-162.
W. Suerbaum, Untersuchungen zur Selbstdarstellung älterer römischer Dichter: Livius Andronicus, Naevius, Ennius, Spudasmata, 19 (Hildesheim 1968).
A. Traina, Vortit barbare. Le traduzioni poetiche da Livio Andronìco a Cicerone (Rom 1974).
G. Broccia, Ricerche su Livio Andronìco epico, Pubblicazioni della Facoltà di lettere e filosofia. Università degli studi di Macerata (Padua 1974).
U. Carratello, Livio Andronìco (Rom 1979).
A. Traglia, Poeti latini arcaici, I, Livio Andronìco, Nevio, Ennio (1986). I. Livingston, A Linguistic Commentary on Livius Andronicus (New York 2004).
F. Spaltenstein, Commentaire des fragments dramatiques de Livius Andronicus, Collection Latomus, 318 (Brüssel 2008).
M. Schauer (Hrsg.), Livius Andronicus, Naevius, tragici minores, fragmenta adespota, Tragicorum romanorum fragmenta (Göttingen 2012) (Inhaltsverzeichnis)
G. Manuwald, Römisches Theater. Von den Anfängen bis zur frühen Kaiserzeit, UTB 4581 (Tübingen 2016) 140-142.
weblinks:
de.wikipedia.org/wiki/Livius_Andronicus
www.forumromanum.org/literature/livius_andronicusx.html
Werke
Achilles:
Die Tragödie 'Achilles' hatte vermutlich wie die 'Skyrier' des Sophokles die Ereignisse am Hof des Lykomedes zum Gegenstand.
Lit. und Ausgaben: O. Ribbeck, Scaenicae Romanorum poesis fragmenta (Leipzig 18963) 1.
Aegisthus:
Lit. und Ausgaben: O. Ribbeck, Scaenicae Romanorum poesis fragmenta (Leipzig 18963) 1 f.
Aiax Mastigophorus:
Lateinische Fassung des sophokleischen 'Aias'.
Lit. und Ausgaben: O. Ribbeck, Scaenicae Romanorum poesis fragmenta (Leipzig 1896 3) 2.
Andromeda:
Tragödien gleichen Titels sind von Accius, Ennius, Euripides und Sophokles bekannt.
Lit. und Ausgaben: O. Ribbeck, Scaenicae Romanorum poesis fragmenta (Leipzig 18963) 3; R. Klimek-Winter, Andromeda-Tragödien. Sophokles, Euripides, Livius Andronikos, Ennius, Accius, Beiträge zur Altertumskunde, 21 (Stuttgart 1993).
Danae:
Danae war die Tochter von Krisios und Aganippe. Sie wurde Geliebte des Zeus und empfing durch seinen Goldregen den Perseus. In der römischen Mythologie war sie außerdem Gründerin der latinischen Stadt Ardea. Eine gleichnamige lateinische Tragödie verfaßte Naevius. In der römischen Pantomime gehörte die Darstellung der Sage zum Repertoire.
Lit. und Ausgaben: O. Ribbeck, Scaenicae Romanorum poesis fragmenta (Leipzig 18963) 3.
Equos Troianus:
Ein Drama gleichen Titels stammte von Naevius. Es behandelte die trojanische Abstammung der Römer.
Lit. und Ausgaben: O. Ribbeck, Scaenicae Romanorum poesis fragmenta (Leipzig 18963) 3.
Gladiolus:
Lit. und Ausgaben:
Hermiona:
Lit. und Ausgaben: O. Ribbeck, Scaenicae Romanorum poesis fragmenta (Leipzig 18963) 4.
Ino:
Lit. und Ausgaben: O. Ribbeck, Scaenicae Romanorum poesis fragmenta (Leipzig 18963) 4.
Ludius:
Lit. und Ausgaben:
Odissia:
Lit. und Ausgaben: E.H. Warmington, Remains of Old Latin, II (London 1926); M. Verrusio, Livio Andronico e la sua traduzione dell'Odissea omerica, Philologica, 6 (Rom 1977); B. Gentili, Theatrical performances in the ancient world. Hellenistic and early Roman theatre, London Studies in Classical philology, 2 (Amsterdam 1979) 99-105.
Tereus:
Lit. und Ausgaben: O. Ribbeck, Scaenicae Romanorum poesis fragmenta (Leipzig 18963) 4.
Teucer (?)
Lit. und Ausgaben:
Verpus:
Lit. und Ausgaben:
Hymni:
Lit. und Ausgaben:
weblinks: Bibliotheca Augustana