Orpheusmosaik; AO: Rottweil, Dominikanermuseum.
Das Mosaik aus der sog. Orpheus-Villa in Rottweil ist eine Zentralkomposition in einem Rautensternsystem. Im quadratischen Zentralbild sieht man Orpheus auf dem Felsen sitzen und nach links blicken. Sein Körper ist halb nach rechts gewendet. Die Rechte hält angewinkelt das Plektron in die Nähe des Kitharajochs, die Linke ist hinter den Saiten der Kithara sichtbar und etwas schräg nach oben gehalten. Beide Oberschenkel gehen nach rechts, der linke Unterschenkel ist hinter den rechten geschlagen. Er trägt einen roten Mantel, der von einer Fibel auf der rechten Schulter zusammengehalten wird. Darunter ist ein helles Gewand sichtbar, das bis auf die Schienbeine herabfällt. Genauere Details zur Kleidung verschwimmen in der malerisch-unscharfen Darstellungsweise des Mosaizisten. Die Kithara wird vom linken Knie abgestützt. Eng vergleichbar sind die beiden Orpheusdarstellungen aus Sparta und Shahba-Philippopolis. Zu beiden Seiten der obergermanischen Orpheus-Darstellung in Rottweil sieht man einen Baum mit je einem Vogel darin, links zu seinen Füßen einen Storch und rechts ein Hündchen. Lediglich der Storch ist für die erzählerisch knapp gehaltenen Orpheusbilder ungewöhnlich, er taucht aber in der mehr erzählenden Mosaikdarstellung von Saragossa in spiegelverkehrter Position zu Rottweil auf. Auffallend sind bei der Darstellung aus Rottweil die starken Licht-Schatten-Reflexe, welche die Plastizität der Figur bis zu einem gewissen Grade auflösen. Dieser Stil ist aus der Malerei der antoninischen Zeit, also dem mittleren und letzten Drittel des 2. Jahrhunderts geläufig. Auf diese Zeitstellung deutet auch die Ornamentik des Rottweiler Mosaiks.
In den vier Rechteckbildern, welche an das zentrale Orpheusbild anschließen, sind in drei Fällen Szenen eines Wagenrennens dargestellt, während sich vom vierten Bild nichts erhalten hat. Hieran schließen wiederum vier Sechseckfelder an. In zweien sind Szenen einer Jagd erkennbar, in einem weiteren vielleicht Zuschauer sowie der Veranstalter von Spielen, und vom vierten Bild hat sich wiederum nichts erhalten. Der Sinn der Themenzusammenstellung ist recht offensichtlich, es handelt sich um das Unterhaltungsrepertoire aus Theater, Arena und Zirkus. Ein vergleichbares Programm liegt einem Mosaik von der Insel Kos vor, wo Gladiatorendarstellungen und ein Orpheusbild Seite an Seite vorkommen. Die Namensbeischriften der Gladiatoren lassen dort an ein bestimmtes Geschehen in der Arena denken, und wie in manch anderen Fällen konkret nachweisbar, könnte die Darstellung auch hier mit einer editio muneris des Stifters in Verbindung gestanden haben. Dass auch der thrakische Gründerheros der griechischen Musik zur Kithara in diesem Zusammenhang abgebildet wurde, kann nur bedeuten, dass es einen Auftritt eines als Orpheus verkleideten Schauspielers oder auch eines zum Spiel mit den wilden Tieren Verurteilten gab, dessen hier gedacht wurde.
Lit.: Römische Altertümer in der Umgebung von Rottweil am Neckar, 2. Jahresber. des Rottweiler Arch. Ver. (Stuttgart 1835) 12 ff. Taf.; F. Haug - G. Sixt, Die römischen Inschriften und Bildwerke Württembergs (Stuttgart 1912–19142) 167 ff. Nr. 91c Taf.; K. Parlasca, Römische Mosaiken in Deutschland, Römisch-Germanische Forschungen 23 (Berlin 1959) 99 f. 120 Taf. 12,1. 96. 101 (gegen 200 datiert, in der Erstveröffentlichung nach den Fundumständen um 140–150); S. Charitonidis - L. Kahil - R. Ginouvès, Les mosaïques de la maison du Ménandre à Mytilène. Antike Kunst Beiheft 6 (Bern 1970) Taf. 11,2; Ph. Filtzinger - D. Planck - B. Cämmerer (Hrsg.), Die Römer in Baden-Württemberg (Stuttgart 19762) Taf. 73 nach S. 480; A. Rüsch, Das römische Rottweil. Führer zu archäologischen Denkmälern in Baden-Württemberg, 7 (Stuttgart 1981) 55 Abb. 26; I.J. Jesnick, The Image of Orpheus in Roman Mosaic – An Exploration of the Figure of Orpheus in Graeco-Roman Art and Culture with Special Reference to its Expression in the Medium of Mosaic in Late Antiquity, BAR Int. Ser. 671 (Oxford 1997) 253 Abb. 121; LIMC VII 90 Nr. 95 Abb. s. v. Orpheus (M.-X. Garezou); A. Hönle, Orpheus in Arae Flaviae, Kleine Schriften des Stadtarchivs Rottweil 13 (Rottweil 2005); N. Willburger, Kunsthandwerk als Ausdruck der Romanitas, in: Imperium Romanum. Roms Provinzen an Neckar, Rhein und Donau, Begleitband zur Ausstellung des Landes Baden-Württemberg im Kunstgebäude Stuttgart 1. Oktober bis 8. Januar 2006 (Esslingen 2005) 318 ff. mit Abb. 315; R. Gogräfe, Die Wiedergeburt des Mainzer Orpheus (Mainz 2007) 54 Abb.